Oktober 2018

Dass ich das noch erleben darf!

Alle halbe Jahre wieder litt die gesamte Nation, ja ganz Europa, unter einem eigenartigen Jetlag. Ursache war nicht etwa eine totale Sonnenfinsternis oder eine Erschütterung der Erdrotation nach einem fürchterlichen Meteoriten-Einschlag. Nein, es war die EU-Richtlinie 2000/84/EG.

Sie schrieb die Zeitumstellung in Europa vor, die übrigens von Anfang an umstritten war. Die Skeptiker behielten Recht. Die Erwartungen an eine nachhaltige Energieeinsparung durch die Umstellung auf die Sommerzeit wurde nie bestätigt. Trotzdem beharrte man in Brüssel jahrelang auf dieser Richtlinie. Selbst die nachweislichen Nachteile für die Gesundheit von Mensch und Tier und der Verweis auf die Unfallzahlen ließ die Bürokraten ungerührt.

Es folgten zahlreiche Initiativen gegen die Zeitumstellung, auch aus dem EU-Parlament selbst, z. B. von einer Abgeordnetengruppe um den jetzigen NRW-Innenminister Herbert Reul. Schließlich geschah etwas Ungeheuerliches: Die EU fragte ihr Volk! Aus Bürokraten wurden Demokraten. Dass ich das noch erleben darf!

So weit, so gut. Doch kaum hatte der scheidende EU-Kommissionsvorsitzende J.-C. Junker eine für EU-Verhältnisse rasend schnelle Umsetzung des klaren Votums angekündigt, da traten die üblichen Bedenkenträger auf den Plan. Einige fragen sich jetzt, ob denn die ewige Sommerzeit auf Dauer eine gute Idee sei – wegen der dunklen Morgenstunden im Winter. Andere fürchten sich nun davor, dass bald jedes EU-Land seine eigene Zeitgestaltung in die Hand nehmen könnte und dann ein ganz großes Chaos ausbrechen würde.

Ich meine, es ist doch großartig, dass wir so eine sinnlose Last los werden. Und dann probieren wir doch einfach einmal aus, was für uns in Zukunft das Beste ist – bevor alles gleich wieder über einen Kamm geschoren wird. Ist unser Kontinent nicht schon voll genug von vereinheitlichten Europaletten und normierten Gurken? Also ich stelle mich gerne auf das Ende der Zeitumstellung um!

Ihre
Heidrun Leinenbach